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Der
Tod und der Maler
2011
Öl / Lwd., 40 x 30 cm |
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Ich
denke, dass die Kunst die Metapher für den Tod ist, durch den
die Existenz überhaupt erst ihren Reiz, ihren Charakter und
ihren Wert erhält. In unseren Gedankengebäuden stellt
der Tod etwas Hypothetisches dar, und ich meine, dass sich aus diesem
Umstand die Idee vom "Tod der Kunst" als eine für
das Denken notwendige Metapher erklärt. Giulio Carlo Argan
Der Maler sitzt
vor einer riesigen weißen Leinwand. Hat ihn der horror vacui
gepackt? Räsoniert er über das Bild, das entstehen soll,
oder über den eigentlichen Sinn seines Tuns? Ist er müde
von all der Kunst, die unablässig entsteht? Oder betrachtet
er, in gleichsam produktive Melancholie versunken,
das ungemalte Bild? Er ist nicht mehr jung und trägt einen
Hut wie van Gogh. Von hinten tritt der Tod hinzu als ein hohläugiger
Knochenmann. Er stellt die Palette auf den Maltisch, serviert sie
wie ein Kellner sein Tablett. Ist der Tod des Malers Lieferant?
Oder seine Muse, wie auf Böcklins Selbstbildnis mit dem fiedelnden
Tod? Oder sollten wir doch an Balzacs „unbekanntes Meisterwerk“
denken, an den Maler Fraunhofer, der, als er erkennen muss, dass
sein größtes Werk unsichtbar bleibt, alle seine Bilder
vernichtet und stirbt? Oder eher an Corinths Münchner Selbstbildnis,
auf dem er als Metapher für die Überwindung des Todes
das Gerippe zum anatomischen Studienobjekt entmystifiziert? Will
der Maler den Tod bannen, wenn er ihm schon nicht entfliehen kann?
Oder ist Lutz Friedels Bild eine Groteske, ein ironisches memento
mori, das die Unausweichlichkeit gelassen hinnimmt?
In jedem Fall sind Lutz Friedels Bilder mit und über den Tod
auch Auseinandersetzungen mit sich selbst und seinem Metier. „Das
Malen und das Nachdenken über den Tod hat bei mir bewirkt,
jeden Tag, an welchem ich noch mit Lust ins Atelier gehe, mit Dankbarkeit
zu nehmen. Das mag simpel scheinen, und Verletzungen und Wut ist
ja noch genug da, Ehrgeiz auch noch, aber es verätzt nicht
mehr die Seele“, hat er in einem Brief geschrieben.
Haben wir es
hier also mit einem abgeklärten „Alterswerk“ zu
tun? Einem friedvollen Einverständnis? Alle Befunde sprechen
dagegen. Friedels Bilder, soviel ist gewiss, sind immer auch lustvoll
säkulare Abrechnungen mit der gegenwärtigen Kultur. Seit
zwei Jahren malt Lutz Friedel diese Bilder, auf denen Menschen dem
Tod begegnen.
Er nennt sie
„Totentänze“. Was eher beiläufig begann, verdichtete
sich über die Jahre zu einem veritablen Werkkomplex. Friedels
Lust an der zeitgenössischen Interpretation kunsthistorischer
Motive ist seit Jahren notorisch, doch hier haben wir es gewissermaßen
mit einer Obsession zu tun. Mehr als dreihundert meist kleinformatige
Malereien transponieren das Motiv in so gut wie alle Bereiche des
sogenannten modernen ebens, keiner bleibt verschont vom Tänzchen
mit dem Gevatter. Das geht mal sarkastisch zu, mal dramatisch, mal
ganz „natürlich“ und dann auch lyrisch oder besser:
poetisch. Immer aber äußerst malerisch, so, als würde
Lutz Friedel beim Arbeiten die Wechselgesänge der Kunstberichterstatter
vom Ende der Malerei im Ohr haben und ihnen lustvoll Bild für
Bild entgegenhalten wollen. Fürwahr: Friedels Totentänze
sind in höchstem Maße ambivalent, anders ist dem mittelalterlichen
Motiv heute auch nicht beizukommen.
Seinen Ausgang
nahm es in der Mitte des 14. Jahrhunderts, als Europa von der Pest
gepeinigt und zu nahezu einem Drittel entvölkert worden war.
Da befiel eine seltsame „Tanzwut“ etliche Menschen und
es kam zu Exzessen aller Art. Ob dies der Einnahme halluzinogener
Substanzen geschuldet war oder schlicht der Angstüberwindung
diente, ist bis heute umstritten. Der Tod, der Allanwesende, unterschied
nicht nach Arm und Reich. Das Versprechen auf Gerechtigkeit im Tode
machte die Ungleichheit im Leben bewusst. Im 15. und 16. Jahrhundert
entstanden Totentänze in Buchmalerei, Grafik und als Fresken
in den weniger heiligen Räumen der Kirchen. Sie waren Endzeitmetaphern
und Mahnungen an das Individuum. Zentrales Motiv der christlichen
Ikonografie war der Totentanz nie, vielmehr beschwor weltliche Drastik
eine Erlösungshoffnung. Säkulares Geschehen vor dem Fegefeuer,
das Buße für begangene Sünden einforderte.
Friedels Totentänze
spielen gleichsam mit unserem Wissen um die Herkunft des Motivs.
Mittelalterliche Mysterien werfen ihren Abglanz in die Gegenwart,
weil die Menschen deren reale Bedrohungen nicht mehr ertragen können,
mythische Interpretation mit wissenschaftlicher Analyse in offenen
Konflikt gerät. Und die Mysterien finden nicht länger
im Hauptbahnhof statt, wie Beuys einst annahm.
Früher
trugen die Bilder assoziationslenkende Titel wie „Sintflut“
oder „Ehemaliges Gelände“, da waren sie noch im
Kontext deutscher Erfahrung zu lesen, als schwere, dunkle Beschwörungen
vergangener Katastrophen und Ahnungen von Kommendem.
In dieser Phase
hat Lutz Friedel die leise ironischen Untertöne seiner Arbeit
nahezu ausgeblendet, erst mit den Totentänzen treten sie in
unterschiedlichen Nuancen wieder hinzu.
Bei allem hat
der Maler das „Häusliche“ und die Figur nie ganz
aufgegeben und eine Zeitlang am Ende der neunziger Jahre neben brandenburgischen
Landschaften vornehmlich Akte gemalt. So wie er diese Naturbilder
von Metabedeutungen freistellte, hat er den weiblichen Akt seinem
Malereiverständnis wortwörtlich „einverleibt“.
Das war ein erstaunlicher Schritt in eine Darstellungsform, die
auf das Abbild vertraute und jenen vormodernen Topos bemühte,
der den Künstler als Studierenden versteht. Man kann das akademisch
nennen, es war aber eine Vergewisserung, ein Schritt zurück
an die Wurzeln. In Selbstbildnissen zitierte der Maler einen längst
verschwundenen Künstlermythos, den Schöpfer, den paradigmatisch
ein Weltbild erfindenden Maler. Das war eine Reaktion auf die allgemeine
Situation der Malerei, die in den neunziger Jahren in eine Krise
geraten war. Die Künstler suchten Auswege in Kontextbestimmungen,
konzeptuellen Strukturen, im Einbeziehen von Bildrelikten aus den
elektronischen Medien oder in erneuter Minimalisierung der Form.
Lutz Friedel ging mit der Rückwendung zur Figur den Weg der
Stabilisierung des künstlerischen Denkens in souveränen
Bildern. Friedel schrieb damals: „Das zwanzigste Jahrhundert
hat alle Grenzen des Denkbaren und des Machbaren in der Kunst gesprengt;
es gibt keine Grenzen mehr und keine lineare Entwicklung. Auch keine
Tabus. Der Kunstbegriff ist zerfasert und hat seine Bedeutung eingebüßt.
Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist, ihn immer wieder neu
zu definieren. Viel mehr zählt die Ernsthaftigkeit, mit der
der Maler seine Sache betreibt und vertritt.“ |