Der Maler und der Tod
Matthias Flügge
Auszug aus dem Buch
„Lutz Friedel -Et in Arcadia egoein Totentanz“
Hirmerverlag München 2011

 

 
Der Tod und der Maler
2011
Öl / Lwd., 40 x 30 cm

Ich denke, dass die Kunst die Metapher für den Tod ist, durch den die Existenz überhaupt erst ihren Reiz, ihren Charakter und ihren Wert erhält. In unseren Gedankengebäuden stellt der Tod etwas Hypothetisches dar, und ich meine, dass sich aus diesem Umstand die Idee vom "Tod der Kunst" als eine für
das Denken notwendige Metapher erklärt. Giulio Carlo Argan

Der Maler sitzt vor einer riesigen weißen Leinwand. Hat ihn der horror vacui gepackt? Räsoniert er über das Bild, das entstehen soll, oder über den eigentlichen Sinn seines Tuns? Ist er müde von all der Kunst, die unablässig entsteht? Oder betrachtet er, in gleichsam produktive Melancholie versunken,
das ungemalte Bild? Er ist nicht mehr jung und trägt einen Hut wie van Gogh. Von hinten tritt der Tod hinzu als ein hohläugiger Knochenmann. Er stellt die Palette auf den Maltisch, serviert sie wie ein Kellner sein Tablett. Ist der Tod des Malers Lieferant? Oder seine Muse, wie auf Böcklins Selbstbildnis mit dem fiedelnden Tod? Oder sollten wir doch an Balzacs „unbekanntes Meisterwerk“ denken, an den Maler Fraunhofer, der, als er erkennen muss, dass sein größtes Werk unsichtbar bleibt, alle seine Bilder vernichtet und stirbt? Oder eher an Corinths Münchner Selbstbildnis, auf dem er als Metapher für die Überwindung des Todes das Gerippe zum anatomischen Studienobjekt entmystifiziert? Will der Maler den Tod bannen, wenn er ihm schon nicht entfliehen kann? Oder ist Lutz Friedels Bild eine Groteske, ein ironisches memento mori, das die Unausweichlichkeit gelassen hinnimmt?


In jedem Fall sind Lutz Friedels Bilder mit und über den Tod auch Auseinandersetzungen mit sich selbst und seinem Metier. „Das Malen und das Nachdenken über den Tod hat bei mir bewirkt, jeden Tag, an welchem ich noch mit Lust ins Atelier gehe, mit Dankbarkeit zu nehmen. Das mag simpel scheinen, und Verletzungen und Wut ist ja noch genug da, Ehrgeiz auch noch, aber es verätzt nicht mehr die Seele“, hat er in einem Brief geschrieben.

Haben wir es hier also mit einem abgeklärten „Alterswerk“ zu tun? Einem friedvollen Einverständnis? Alle Befunde sprechen dagegen. Friedels Bilder, soviel ist gewiss, sind immer auch lustvoll säkulare Abrechnungen mit der gegenwärtigen Kultur. Seit zwei Jahren malt Lutz Friedel diese Bilder, auf denen Menschen dem Tod begegnen.

Er nennt sie „Totentänze“. Was eher beiläufig begann, verdichtete sich über die Jahre zu einem veritablen Werkkomplex. Friedels Lust an der zeitgenössischen Interpretation kunsthistorischer Motive ist seit Jahren notorisch, doch hier haben wir es gewissermaßen mit einer Obsession zu tun. Mehr als dreihundert meist kleinformatige Malereien transponieren das Motiv in so gut wie alle Bereiche des sogenannten modernen ebens, keiner bleibt verschont vom Tänzchen mit dem Gevatter. Das geht mal sarkastisch zu, mal dramatisch, mal ganz „natürlich“ und dann auch lyrisch oder besser: poetisch. Immer aber äußerst malerisch, so, als würde Lutz Friedel beim Arbeiten die Wechselgesänge der Kunstberichterstatter vom Ende der Malerei im Ohr haben und ihnen lustvoll Bild für Bild entgegenhalten wollen. Fürwahr: Friedels Totentänze sind in höchstem Maße ambivalent, anders ist dem mittelalterlichen Motiv heute auch nicht beizukommen.

Seinen Ausgang nahm es in der Mitte des 14. Jahrhunderts, als Europa von der Pest gepeinigt und zu nahezu einem Drittel entvölkert worden war. Da befiel eine seltsame „Tanzwut“ etliche Menschen und es kam zu Exzessen aller Art. Ob dies der Einnahme halluzinogener Substanzen geschuldet war oder schlicht der Angstüberwindung diente, ist bis heute umstritten. Der Tod, der Allanwesende, unterschied nicht nach Arm und Reich. Das Versprechen auf Gerechtigkeit im Tode machte die Ungleichheit im Leben bewusst. Im 15. und 16. Jahrhundert entstanden Totentänze in Buchmalerei, Grafik und als Fresken in den weniger heiligen Räumen der Kirchen. Sie waren Endzeitmetaphern und Mahnungen an das Individuum. Zentrales Motiv der christlichen Ikonografie war der Totentanz nie, vielmehr beschwor weltliche Drastik eine Erlösungshoffnung. Säkulares Geschehen vor dem Fegefeuer, das Buße für begangene Sünden einforderte.

Friedels Totentänze spielen gleichsam mit unserem Wissen um die Herkunft des Motivs. Mittelalterliche Mysterien werfen ihren Abglanz in die Gegenwart, weil die Menschen deren reale Bedrohungen nicht mehr ertragen können, mythische Interpretation mit wissenschaftlicher Analyse in offenen Konflikt gerät. Und die Mysterien finden nicht länger im Hauptbahnhof statt, wie Beuys einst annahm.

Früher trugen die Bilder assoziationslenkende Titel wie „Sintflut“ oder „Ehemaliges Gelände“, da waren sie noch im Kontext deutscher Erfahrung zu lesen, als schwere, dunkle Beschwörungen vergangener Katastrophen und Ahnungen von Kommendem.

In dieser Phase hat Lutz Friedel die leise ironischen Untertöne seiner Arbeit nahezu ausgeblendet, erst mit den Totentänzen treten sie in unterschiedlichen Nuancen wieder hinzu.

Bei allem hat der Maler das „Häusliche“ und die Figur nie ganz aufgegeben und eine Zeitlang am Ende der neunziger Jahre neben brandenburgischen Landschaften vornehmlich Akte gemalt. So wie er diese Naturbilder von Metabedeutungen freistellte, hat er den weiblichen Akt seinem Malereiverständnis wortwörtlich „einverleibt“. Das war ein erstaunlicher Schritt in eine Darstellungsform, die auf das Abbild vertraute und jenen vormodernen Topos bemühte, der den Künstler als Studierenden versteht. Man kann das akademisch nennen, es war aber eine Vergewisserung, ein Schritt zurück an die Wurzeln. In Selbstbildnissen zitierte der Maler einen längst verschwundenen Künstlermythos, den Schöpfer, den paradigmatisch ein Weltbild erfindenden Maler. Das war eine Reaktion auf die allgemeine Situation der Malerei, die in den neunziger Jahren in eine Krise geraten war. Die Künstler suchten Auswege in Kontextbestimmungen, konzeptuellen Strukturen, im Einbeziehen von Bildrelikten aus den elektronischen Medien oder in erneuter Minimalisierung der Form. Lutz Friedel ging mit der Rückwendung zur Figur den Weg der Stabilisierung des künstlerischen Denkens in souveränen Bildern. Friedel schrieb damals: „Das zwanzigste Jahrhundert hat alle Grenzen des Denkbaren und des Machbaren in der Kunst gesprengt; es gibt keine Grenzen mehr und keine lineare Entwicklung. Auch keine Tabus. Der Kunstbegriff ist zerfasert und hat seine Bedeutung eingebüßt. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist, ihn immer wieder neu zu definieren. Viel mehr zählt die Ernsthaftigkeit, mit der der Maler seine Sache betreibt und vertritt.“