|
Neugier,
die Fresslust der Sinne
|
||
Hg.
Eckhard Hollmann |
Der Tod betrifft uns nicht. Solange wir da sind, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr. Diese provokativ lapidare Äußerung des 271 vor Christus verstorbenen griechischen Philosophen Epikur hat kaum Anklang und Nachhall gefunden, gibt sie doch vor, die Auseinandersetzung mit dem Tod sei überflüssig. Seit Menschengedenken aber und über die Jahrhunderte ist die Endlichkeit des Lebens und die Angst vor dem Tod in allen Kulturen ein immerwährendes existentielles Thema. Davon zeugen nicht nur die uralten Bestattungsriten, sondern ebenso die Darstellungen des Todes in der Bildenden Kunst. Erinnert sei an die in Europa seit dem Mittelalter geschaffenen Totentänze, die bis ins 20. Jahrhundert ihre Nachfolge finden, in den Arbeiten von Horst Janssen, HAP Grieshaber und Alfred Hrdlicka, um nur drei aus der jüngsten Vergangenheit zu nennen. Nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, ein „Totentanz” im Werk des Holzbildhauers und Malers Lutz Friedel. Was drängt ihn zu diesem Thema? Das Gefühl der eigenen Endlichkeit, das Herannahen des Alters, der gegenwärtige Weltzustand? Das Ende des Kalten Krieges führte keineswegs zu der erhofften Befriedung, im Gegenteil, die Wende zum 21. Jahrhundert gab und gibt apokalyptischen Gedankengängen neue Nahrung, durch von Menschenhand herbeigeführte oder durch Naturgewalten ausgelöste Katastrophen. Die Vergänglichkeit allen Lebens ist seit jeher das Motiv eines jeden Totentanzes. Ganz voraussetzungslos taucht der Tod nicht im Werk Lutz Friedels auf. Da war das Weltuntergangsszenario „Triumfo della Morte” eines unbekannten katalanischen Malers im Stadtmuseum von Palermo, das ihn faszinierte, da waren die 4000 Mumien in der dortigen Kapuzinergruft, die er während seines Sizilienaufenthaltes 1994 besuchte. Neben seinem großen Zyklus von Holzplastiken, die er „Walhall der Namenlosen, der Nichtse” nennt, sind es vor allem die Skulpturen der Ketzer, in denen er, angeregt durch ein Zeitungsfoto, auf dem ein chinesischer Abweichler mit einem Spotthut kurz vor seiner Hinrichtung zu sehen war, „das Verhältnis des Geschlagenen zum bevorstehenden Tod” gestaltet: „Furcht, Renitenz, Zorn, Angst, Gebrochensein, Sich-Ergeben, Unerschrockenheit: alles Mensch”, kommentiert er seine Skulpturen.
|
||
Selbst
als Tod |
In seinen beiden von 2003 bis 2008 entstandenen Selbstportät-Serien (Übermalungen von Ausstellungsplakaten), von denen die erste den Titel „103 Möglichkeiten die Zeit totzuschlagen” trägt, ist der Tod gleich mehrfach anwesend. Zwei Porträts „Selbst als Tod”, zwei „Selbst als Kapuziner (Palermo)”, „Selbst als Strangulierter”, „Selbst am letzten Tag (Picasso)” und schließlich „Selbst verbrennend”. Ist der Tod in den zurückliegenden
beiden Zyklen punktuell anwesend, taucht auf und schwindet, so war sein
Sog offenbar derart stark, daß er gegenwärtig zum ausschließlichen
Motiv im Werk des Künstlers geworden ist. Ein Reigen des Todes, Variationen
zum immer gleichen Thema. Gemälde, Öl auf Leinwand, in großem
Format 130 x 100 cm, weit über ein Dutzend, und kleine Bilder, 40
x 20, 40 x 25, 40 x 30, ebenfalls Öl auf Leinwand oder Malkarton,
über zweihundert. Als mir Lutz Friedel am Tag des Frühlingsbeginns 2011 in seinem Atelier in Schönholz im Havelland seine Arbeiten zeigte, schien mir der Tod ein einziges Fest der Sinne: Verführung durch Farben. Warmwallend und zugleich den Keim eines Weltfeuers assoziierend die rote Übermalung im „Zeitgeist”. Dunkel erdene Farben, die der Maler zum Leuchten bringt: „Der Tod und der Bildhauer”. Die grüne Halluzination im „Der Tod und der Frühling”. Wahnsinn in Gelb und Orange, Zinnober und Violett. Schattenfahl. |
||
Der
Tod kokelt |
Ein Schamrot in „Der Tod kokelt”. Das Kreideblei, Kreideweiß der leeren Leinwand in dem mehrfach gemalten Bild „Der Tod und der Maler”; die Unausweichlichkeit, dem Künstler ist die Farbpalette entrissen; aber sein Widerstand ging selbst dem Tod über seine Kräfte, auf einem der Bilder sitzt der Knochenmann erschöpft und zusammengesunken auf einem Stuhl neben der Staffelei. Und dann das wunderliche Blau
in feinsten Spuren in dem großformatigen „Der Tod und der
Autofahrer”, das man jenseits des Titels auch als ein reines Natur-
oder Landschaftsbild wahrnehmen kann. Eine Landstraße bei Nacht,
überwölbt mit uralten Bäumen, von einem unsichtbaren Scheinwerfer
angestrahlt, in malerischer Finesse erscheint die schwarze Üppigkeit
des Geästs, Details, einzelne Blätter werden in ihrer malerischen
Schönheit sichtbar. Am Ende des Baumtunnels ein gleißendes
Licht ... Der Tod oder der Beginn von etwas Neuem? Das satte Schwarz und
Weiß in seiner Metaphorik, deren mögliche Umkehr. Und im oberen
Bildteil in kleinsten Spuren dieses wunderliche wunderbare Blau. Der erste Eindruck des „Totentanz” – Zyklus: die Farbe hat die Krüge voll ausgeschüttet, die Leinwand durchtränkt, die Pinselführung ist zielgelenkt, die Linienzeichnung energiegeladen. Mir scheint, es geht dem Maler
wie dem alten Goethe. Dieser negierte den Tod bis in sein hohes Alter,
dann stellte er sich ihm und ging ein fast heiteres, produktives Verhältnis
mit ihm ein. So auch Lutz Friedel. Der für alle seine Arbeiten charakteristische
hintergründige Humor findet sich hier sogar verstärkt. Ebenso
seine Ironie, die aber nie resignativ, sondern immer welterschießend
ist. Das macht den Zyklus so reizvoll. In meinen „Tage- und Nächtebüchern aus Lappland” begegnet der sechzigjährigen Frau auf ihrer einsamen Wanderung durch Lappland am Ende ihres Weges der Tod in der Gestalt eines fettleibigen Mannes, der vor einem Zelt sitzt und liest. Der Tod grüsst, sie erwidert seinen Gruß. Und geht an ihm vorüber. „Ich bin ganz ruhig”, sagt sie sich dann, „wir täuschen uns, wenn wir den Tod nur immer vor uns sehen, ein großer Teil von ihm liegt bereits hinter uns, hinter mir, es ist die Zeit, die ich bisher durchlebt habe, die hat der Tod schon”. In diesem Sinne ist der „Totentanz” - Zyklus des Malers auch Selbstbefragung, Zurückgehen in die eigene Biographie, Reflexion von Illusionen, von Begegnungen und nahen Menschen, von Enttäuschungen, ist die summa summarum von Gewinn und Verlust, Höhen und Tiefen: die Gemälde ein grandioser Tanz der Gespenster, der aus den kleinen und großen Abschieden seiner Existenz, wie auch der Existenz eines jeden von uns, hervorgehen. |
||
Der
Tod und das Kind |
Nicht als Bruder des Schlafes, als Jüngling mit der sich senkenden Fackel, in der seit der Aufklärung üblichen sanften Form, erscheint der Tod in Friedels Gemälden, sondern in der volkstümlich traditionellen Gestalt als Gerippe. Der Schnitter, der Schrecken verbreitet: „Tod sein Kind fressend”, „Der Tod und das Kind (das weisse Band)”, „Tod und die Schwangere”. Der Sensenmann, der zwischen Mann und Frau tritt: ihr leibliches Ende oder das ihrer Liebe? Werden und Vergehen, der Kreislauf des Lebens, der Tod mit dem Frühling, dem Winter. Der Knochenmann als Verführer, sein Weinglas hebend, als Musiker, wie der Rattenfänger mit seinen Melodien lockend. Seine Unerbittlichkeit: „Tod mit Pauke”. Und Gemälde, in denen der erzählende Gestus zurücktritt und die reinen Farbflächen sprechen: „Der Schrei”, „Tod als Skorpion”. Und der lächerliche Tod, der sich der ihn umschwirrenden Insekten erwehren muß. In diesem grandiosen Tanz der Gespenster gibt es keine Mahnung zu Buße oder Umkehr wie in den mittelalterlichen Totentänzen. Keine vordergründige Religiosität, weder Verheißung, noch Weltgericht, noch ein System von Belohnung und Bestrafung wie es jenes „Confutatis maledictis, flammis acribus addictis ...” (Wenn Empörung, Fluch und Rache wird gebüßt in heißen Flammen ...) aus Mozarts „Requiem” nahelegt. Himmel und Hölle sind allein vom Menschen geschaffen. Es ist der ewige Kreislauf der Natur, in den wir eingebunden sind. Dem begegnet der Mensch mit „Furcht, Renitenz, Zorn, Angst, Gebrochensein, Sich - Ergeben, Unerschrockenheit”. Die Diesseitigkeit dieses „Totentanz” - Zyklus. Immer – sagen die Bilder – steht der Tod uns über dem Scheitel, mitten im Leben sind wir von ihm umgeben. Er kann ein angebrochener Tag sein, er kann die Minuten zählen und sie auslöschen, aber in der malerischen Verführung ist der Tod auch derjenige, der die vollen Tage noch auf den Tischen stehen läßt und mich oder uns, die Betrachter, zur Empfindung unserer bemessenen Zeitlichkeit führt. Als der Tod mit großen
Schritten auf den Dichter Franz Fühmann zukam, umgab er sich in seinem
Krankenzimmer in der Charité mit Blättern aus HAP Grieshabers
Holzstichen „Totentanz von Basel”. Heute würden vielleicht
Gemälde von Lutz Friedel hinzutreten, aus seinem „Totentanz”
- Zyklus, diesem Fest der Farben, diesem Fest der Sinne. |