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Im
Anflug
1983/84, Öl / Lwd.
100 x 130 |
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Das
Werk Lutz Friedels ist ein Paradebeispiel für die Vitalität
deutscher Malkultur mit sächsischer Wurzel.
Schon
zu DDR-Zeiten war Friedel ein Klassiker. Anstatt der Fremdbestimmung
zu folgen und den ideologischen Vorgaben zu entsprechen, ankerte
er am Ich-Pol. Während sich die Maler-Elite der volkseigenen
Mangelgesellschaft im Binnenecho ihrer artistischen Paraphrasen
verfing, steuerte Friedel in routinierter Perfektion auf Formfragen
und die Geheimnisse der Kunstgeschichte zu. So wie Friedel seine
Bildgegenstände Mensch, Natur und Landschaft in der Entfaltung
aller ihrer Lichtnuancen registriert, ist er meilenweit entfernt
von der bleischweren Schläfrigkeit der einfältigen Malerpinsel
von gestern und heute.
Man
ahnt, daß da ein glühender Anspruch im Spiel ist, die
Reinheit und die ursprüngliche Bindung an Werte wiederzufinden,
und zwar auf eine bescheidene, unprätentiöse Weise, die
von einer inneren Bereitschaft zeugt. Die immer neu sich aufwiegenden
Werte und Gegenwerte verleihen auch seinen "Flugzeugbildern"
(entstanden zwischen 1983 und 1989) ihr Gewicht.
Das
Flugzeug-Motiv nennt er seine "Krücke, über die ich
diese Stadtlandschaft malen konnte, ohne in irgendwessen ausgelatschte
Fußstapfen treten zu müssen".
Zwanzig
Bilder waren die Folge.
Als
die Bilder in den 80er Jahren entstanden, waren sie einerseits Abbilder
der bloßen Existenz dieser Flugkörper, denn Friedel wohnte
im Prenzlauer Berg, also in einer der Einflugschneisen des Flughafens
Berlin-Tegel, andererseits waren sie im dahinter liegenden Sinn
auch Zeichen für ein nicht näher bestimmtes Angstgefühl.
Wenn wir die Bilder heute in ihrer Gegenständlichkeit abtasten,
dann freilich kommt es mit Sicherheit zur Überlagerung mit
den in unserer Erinnerung gespeicherten Katastrophenbildern der
aktuellen Flugzeugangriffe und wir, wie auch der Künstler selbst,
vermögen sie neu zu sehen unter dem Eindruck der Berichterstattung
der Medien wie auch gebunden an Theorien vom "Clash of Civilizations"
(Samuel Huntington) oder die reflexive Angst, der Westen könne,
von extrem gewaltbereiten Fanatikern angegriffen, nun seinerseits
fundamentalistisch reagieren und seine eigene multikulturell-religiöse
Toleranz aufgeben. Als die Bilder entstanden, existierte die DDR
noch, OstBerlin lag hinter Stacheldraht und "Zeitmauer"
(Heiner Müller) und Friedel brachte in seinen Flugzeugbildern
mit Sicherheit auch ein Sehnsuchtsmotiv auf die Leinwand - den Traum
vom Fliegen und, mehr oder weniger offen daran geknüpft, die
ungebrochene Hoffnung auf die Möglichkeit des Loslösens
vom realsozialistischen Ballast und des Überfliegens der inneren
und äußeren Sperranlagen. Daß die Bilder in ihrer
Entstehungszeit in der DDR nicht gezeigt wurden und daß Friedel
1984 der DDR tatsächlich den Rücken kehrte, unterstreicht
zusätzlich ihre Funktion als Sehnsuchtsspeicher.
Grundsätzlich
vollzieht sich der Überflug über die Stadt bei Friedel
im Schutze der Dunkelheit. In seiner geschärften Aufmerksamkeit
für Träume, ähnlich den Romantikern und den Surrealisten,
erahnt Friedel dabei in datumslosen Ereignissen eine andere Wirklichkeit,
eine, die sich nicht auf objektive Handlungen reduzieren läßt,
sondern die als die an das Subjekt gebundene Verknüpfung existiert.
Friedel,
fasziniert von den donnernden, düsengetriebenen Silbervögeln
am Himmel läßt in seinen Bildern keine Papierflieger
steigen. |
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Der
Absturz
1985, Öl / Lwd., 90 x 120
Privatbesitz Berlin |
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Was
da wie brennendes Unglück in Richtung Häuserfront rast ("Der
Absturz", 1985), trägt ein gewaltiges symbolisches Zerstörungspotential
in sich in einer Schlacht zwischen Bedingtheit und Handlungsspielraum.
Friedels melancholische Grundstimmung ist dabei nicht gekoppelt an
sozialpädagogisches Verständnis. Hier bewährt sich
ein Künstler tatsächlich in einer Art Nahkampf. Seine Bilder
sind wildentbrannt und euphorisch satt in der Verlebendigung der Farbe
und sie sind gleichzeitig greulich dunkel, gebunden an schreckliche
Abenteuer. Jeder, der in der DDR lebte, lebte in seiner DDR. Die Anordnung
der Weltbilder reichte von umnachteter Euphorie bis zu aufgeregter
Umnachtung. Friedel paßt nicht in Denkschablonen. Er spielte
nicht den Märtyrer und nicht den Kreuzfahrer. Mit fast heiterer
Wehmut ging das Leben für ihn aus den Fugen, vielleicht auch
durch den geistig provozierten Zusammenstoß einer Denkungsart
mit einer anderen. Seine Flugzeugmotive gewinnen schwebendes Glück,
unter Schmerzen gereifte Weisheit aus der Trauer. Christoph
Tannert (Januar 2002) |