flugangstfrei
flugangstfrei C. Tannert, 2002
( zur Ausstellung "Ueber Berlin - Flugzeugbilder" im Berliner Dom)

Im Anflug
1983/84, Öl / Lwd.
100 x 130
 

Das Werk Lutz Friedels ist ein Paradebeispiel für die Vitalität deutscher Malkultur mit sächsischer Wurzel.

Schon zu DDR-Zeiten war Friedel ein Klassiker. Anstatt der Fremdbestimmung zu folgen und den ideologischen Vorgaben zu entsprechen, ankerte er am Ich-Pol. Während sich die Maler-Elite der volkseigenen Mangelgesellschaft im Binnenecho ihrer artistischen Paraphrasen verfing, steuerte Friedel in routinierter Perfektion auf Formfragen und die Geheimnisse der Kunstgeschichte zu. So wie Friedel seine Bildgegenstände Mensch, Natur und Landschaft in der Entfaltung aller ihrer Lichtnuancen registriert, ist er meilenweit entfernt von der bleischweren Schläfrigkeit der einfältigen Malerpinsel von gestern und heute.

Man ahnt, daß da ein glühender Anspruch im Spiel ist, die Reinheit und die ursprüngliche Bindung an Werte wiederzufinden, und zwar auf eine bescheidene, unprätentiöse Weise, die von einer inneren Bereitschaft zeugt. Die immer neu sich aufwiegenden Werte und Gegenwerte verleihen auch seinen "Flugzeugbildern" (entstanden zwischen 1983 und 1989) ihr Gewicht.

Das Flugzeug-Motiv nennt er seine "Krücke, über die ich diese Stadtlandschaft malen konnte, ohne in irgendwessen ausgelatschte Fußstapfen treten zu müssen".
Zwanzig Bilder waren die Folge.

Als die Bilder in den 80er Jahren entstanden, waren sie einerseits Abbilder der bloßen Existenz dieser Flugkörper, denn Friedel wohnte im Prenzlauer Berg, also in einer der Einflugschneisen des Flughafens Berlin-Tegel, andererseits waren sie im dahinter liegenden Sinn auch Zeichen für ein nicht näher bestimmtes Angstgefühl. Wenn wir die Bilder heute in ihrer Gegenständlichkeit abtasten, dann freilich kommt es mit Sicherheit zur Überlagerung mit den in unserer Erinnerung gespeicherten Katastrophenbildern der aktuellen Flugzeugangriffe und wir, wie auch der Künstler selbst, vermögen sie neu zu sehen unter dem Eindruck der Berichterstattung der Medien wie auch gebunden an Theorien vom "Clash of Civilizations" (Samuel Huntington) oder die reflexive Angst, der Westen könne, von extrem gewaltbereiten Fanatikern angegriffen, nun seinerseits fundamentalistisch reagieren und seine eigene multikulturell-religiöse Toleranz aufgeben. Als die Bilder entstanden, existierte die DDR noch, OstBerlin lag hinter Stacheldraht und "Zeitmauer" (Heiner Müller) und Friedel brachte in seinen Flugzeugbildern mit Sicherheit auch ein Sehnsuchtsmotiv auf die Leinwand - den Traum vom Fliegen und, mehr oder weniger offen daran geknüpft, die ungebrochene Hoffnung auf die Möglichkeit des Loslösens vom realsozialistischen Ballast und des Überfliegens der inneren und äußeren Sperranlagen. Daß die Bilder in ihrer Entstehungszeit in der DDR nicht gezeigt wurden und daß Friedel 1984 der DDR tatsächlich den Rücken kehrte, unterstreicht zusätzlich ihre Funktion als Sehnsuchtsspeicher.

Grundsätzlich vollzieht sich der Überflug über die Stadt bei Friedel im Schutze der Dunkelheit. In seiner geschärften Aufmerksamkeit für Träume, ähnlich den Romantikern und den Surrealisten, erahnt Friedel dabei in datumslosen Ereignissen eine andere Wirklichkeit, eine, die sich nicht auf objektive Handlungen reduzieren läßt, sondern die als die an das Subjekt gebundene Verknüpfung existiert.

Friedel, fasziniert von den donnernden, düsengetriebenen Silbervögeln am Himmel läßt in seinen Bildern keine Papierflieger steigen.

Der Absturz
1985, Öl / Lwd., 90 x 120
Privatbesitz Berlin
  Was da wie brennendes Unglück in Richtung Häuserfront rast ("Der Absturz", 1985), trägt ein gewaltiges symbolisches Zerstörungspotential in sich in einer Schlacht zwischen Bedingtheit und Handlungsspielraum. Friedels melancholische Grundstimmung ist dabei nicht gekoppelt an sozialpädagogisches Verständnis. Hier bewährt sich ein Künstler tatsächlich in einer Art Nahkampf. Seine Bilder sind wildentbrannt und euphorisch satt in der Verlebendigung der Farbe und sie sind gleichzeitig greulich dunkel, gebunden an schreckliche Abenteuer. Jeder, der in der DDR lebte, lebte in seiner DDR. Die Anordnung der Weltbilder reichte von umnachteter Euphorie bis zu aufgeregter Umnachtung. Friedel paßt nicht in Denkschablonen. Er spielte nicht den Märtyrer und nicht den Kreuzfahrer. Mit fast heiterer Wehmut ging das Leben für ihn aus den Fugen, vielleicht auch durch den geistig provozierten Zusammenstoß einer Denkungsart mit einer anderen. Seine Flugzeugmotive gewinnen schwebendes Glück, unter Schmerzen gereifte Weisheit aus der Trauer.

Christoph Tannert (Januar 2002)