Nördlich von Italien - Lutz Friedels Malerei
Andreas Hüneke, neue bildende kunst, Zeitschrift für Kunst und Kritik, 1/96 Februar - März

Selbst als
Sebastian de Morra -
Hommage á Velazquez
1980
Oel/ Hartfaser
69 x 49,5

Was auf Lutz Friedels Bildern zu sehen ist, ist schnell gesagt: ein Horizont, ein Krater, eine Zypresse oder eine Muschel. Das Gegenständliche ist aufs äußerste reduziert. Malte er einst mit Vorliebe das Gewimmel an Badestränden, auf Straßen oder Rolltreppen in seiner katastrophenträchtigen Brutalität und sind noch die „Paradebilder" von I990 randvoll mit Köpfen und Gestalten, so zeigte sich schon früh in der Serie der Selbstbildnisse als Sebastian de Morra daneben ein Interesse an der konzentrierten Metapher.

In den Flugzeugbildern erarbeitete er sich dazu die Vereinfachung und Konzentration der Form. Schwer und lastend, immer mit dem Gefühl einer Bedrohung verbunden, schweben die Riesenleiber über den Häusern. Das Widersinnige eines so schweren Körpers, der sich in die Lüfte erhebt, wurde bei den springenden Fischen wieder aufgenommen. Und auch hier will sich der Eindruck eines gelösten Spiels, der Lust an der Überwindung der Schwerkraft nicht einstellen.

Das Erlebnis Frankreichs und der französischen Kunst brachte eine Auseinandersetzung mit Monets Heuhaufen und Manets Spargelbildern. Aber es bleibt nicht bei der Schwelgerei in reicher Farbigkeit am unscheinbaren Objekt. Wohl gewinnt Friedels Malerei mehr und mehr auch diese Qualität. Doch die Heuhaufen werden ihm zu babylonischen Türmen, das Spargelbündel zu einer alles überrollenden Riesenwalze. Aber es sind auch mit stachligem Band aneinander gefesselte Phalli, wie der einzelne Spargel der „Hommage a Manet" ein abgeschnittener Phallus ist - die rote Schnittlinie durchteilt hart den hellen Grund des Bildes.

Das Buendel
1990
Oel / Bitumen/Leinwand
200 x 230
(Zustand)

 

 

Nimmt man „Das Bündel" als Hochformat, so ähnelt es in Farbe und Struktur der Darstellung des Birkenwaldes bei Oranienburg mit dem erst auf den zweiten Blick erkennbaren, noch das militärische Sperrgebiet markierenden Stacheldraht. Dieses Bild scheint seinerseits eine Verwandlung der impressionistischen Birkenbilder von Christian Rohlfs zu sein.

Den Magkeit selbst noch im Schwarz, bis hin zu der satten Tiefe des Bitumens. Das jedoch bringt seine Probleme mit sich, nicht nur hinsichtlich der Haltbarkeit, sondernlereien mit phallischen Formen stehen die mit vaginalen Assoziationen an der Seite - die Erdspalten und Krater, Zypressen und Muscheln. Die reine Lust entfaltet sich allerdings nicht, denn es sind auch bodenlose Abgründe und harte, verschlossene Schalen. Selbst das überwältigende Italienerlebnis brachte keine mediterrane Heiterkeit in die Bilder. Nur über manchen Kratern schiebt sich fast schüchtern ein Stück Himmelsblau in die Fläche, die sonst von düsterem Schwarz, brandigem Rot, von ockrigen Beigetönen und stumpfem Braun beherrscht wird. Freilich: Ein langer Malprozeß läßt in diesen Tönen eine schier unendliche Vielfalt entstehen. Manchmal liegen sie lasierend übereinander, sind zu feinen Schwebungen verrieben, dann wieder hingespachtelt, miteinander verknetet, spröde aufreißend. Welche Lebendi auch wegen seiner Endgültigkeit. Seine Schwärze erhöht Reiz und Wirkung der Bilder, nimmt ihnen allerdings gleichzeitig - wenn auch zunächst vielleicht nur für den Maler selbst spürbar - etwas von ihrer Wandlungsfähigkeit. Denn was er gelegentlich als Unsicherheit oder Unentschlossenheit empfinden mag - eine gewisse Scheu vor der Entscheidung, ein Bild als abgeschlossen zu betrachten -, ist in Wahrheit eine zentrale Qualität dieser Arbeiten, die sich immer noch aus dem Hellen ins Dunkle wandeln können oder umgekehrt. Andererseits unterstützt das Bitumen in seiner Gewaltsamkeit eine Tendenz, die sich vor allem im Duktus der manchmal geradezu zerschundenen Oberfläche ausdrückt und sich gegen die herbe, aber nicht zu leugnende Farbschönheit zu sträuben scheint.

Das Thema Lutz Friedels ist eigentlich noch dasselbe, das er schon früh anschlug: die trügerische, aus sich selbst heraus in Gewalt und Katastrophe umschlagende Idylle. Er hat ihm alles Anekdotische genommen, es in klare Metaphern gefaßt und läßt die Dramen sich in der Farbmaterie selbst abspielen. Es zeigt sich, daß dies ein übergreifendes Thema ist, von dem die DDR-Problematik nur ein Aspekt war. Aus dem Norden kommend, gewahrt man auch über der klimatischen und kulturhistorischen Idylle Italiens den sie bedrohenden Schatten, der unter anderem der eigene ist. Lutz Friedel malt keine Figurenbilder mehr, aber er spricht in seiner Malerei vom Menschen.


Andreas Hüneke